SpracheLiteraturMusikGlaube


Buchbesprechung

Duden Deutsches Universalwörterbuch
4., neu bearbeitete und erweiterte Auflage
Hrsg. von der Dudenredaktion
Mannheim u. a. (Dudenverlag) 2001
1892 Seiten. ISBN 3-411-05504-9. EUR 29,95
(Ausgabe mit CD-ROM: ISBN 3-411-71421-2. EUR 39,90)

Jeder, der sich mit Sprache beschäftigt, ja jeder, der Sprache überhaupt benutzt, sollte ein gutes Wörterbuch zur Verfügung haben. Der Rechtschreibduden, der traditionell zur Grundausstattung jedes Haushalts gehört, reicht dafür nicht aus, da er – wie sein Name schon sagt – in erster Linie über die richtige Schreibung und nicht über die Bedeutung und Verwendung der Wörter Auskunft gibt. Man benötigt also ein Bedeutungswörterbuch, in dem der Wortschatz des Deutschen mitsamt seinen Verwendungsmöglichkeiten möglichst vollständig verzeichnet ist. Das Standardwerk hierfür ist zurzeit das zehnbändige „Große Wörterbuch der deutschen Sprache“ des Dudenverlags mit über 200.000 Stichwörtern, das sich allerdings wegen seines hohen Preises nur wenigen zur Anschaffung empfehlen wird. Als preisgünstige Alternative für den Hausgebrauch bietet sich seit 1983 das „Deutsche Universalwörterbuch“ desselben Verlages an, das in seiner im März 2001 erschienenen 4. Auflage immerhin ebenfalls 140.000 Wörter und Wendungen enthalten soll (nach Angaben des Verlags handelt es sich um das „umfassendste einbändige Bedeutungswörterbuch der deutschen Gegenwartssprache“). Die Neuauflage war seit längerem überfällig: Zwar lag das Erscheinen der 3. Auflage erst fünf Jahre zurück, doch war diese im Zusammenhang mit der Umstellung auf die neue Rechtschreibung 1996 etwas zu hastig auf den Markt geworfen worden, sodass sie eine Reihe von Fehlern und Irrtümern enthielt, die auf falscher Auslegung des Reformwerkes beruhten (z.B. wieder sehen statt wiedersehen). Diese Fehler sind in der Neuauflage beseitigt worden. Neu ist außerdem das Layout: Durch eine veränderte Stichwortanordnung (jedes Stichwort beginnt auf einer neuen Zeile) wurde mehr Übersichtlichkeit erzielt; allerdings musste dafür die Schrift verkleinert werden, was für weniger scharfäugige Benutzer sicher zu Problemen führen wird. Typographisch ist die neue (zweifarbige) Gestaltung als sehr geschmackvoll und gelungen zu bezeichnen.

Der Stichwortbestand wurde gegenüber der 3. Auflage um ca. 1500 neue Wörter erweitert. Ob alle diese Neueintragungen sinnvoll sind, muss freilich dahingestellt bleiben, denn neben wirklichen Neologismen wie Suchmaschine, Elchtest oder DVD, die wahrscheinlich für längere Zeit im Sprachgebrauch präsent bleiben werden, wurden auch modische Eintagsfliegen wie Weichei, Warmduscher oder Moorhuhnjagd aufgenommen, deren Überleben bis zur nächsten Auflage durchaus bezweifelt werden kann. Das Schicksal, aus dem Wörterbuch gestrichen zu werden, hat auch diesmal bereits eine ungenannte Anzahl veralteter oder selten gebrauchter Wörter der 3. Auflage ereilt, so etwa Abgötterei, Geziefer, Kriegsknecht, Narrenhaus, Räuberhöhle, Salbader oder Tonsetzer. Solche Streichungen sind einerseits verständlich, handelt es sich doch um ein Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache und nicht um ein historisches Wörterbuch; andererseits stellt doch jede einzelne von ihnen einen Verlust dar, denn auch im Jahr 2001 kann man diesen „veralteten“ oder „seltenen“ Wörtern ja durchaus noch begegnen, und gerade dann hätte man ein Wörterbuch nötig. Vergleicht man einmal die Anzahl der als „veraltet“, „veraltend“ oder „selten“ markierten Stichwörter in den Ausgaben von 1996 und 2001 (was mit Hilfe der CD-ROMs leicht möglich ist), kommt man zu erstaunlichen Ergebnissen: Waren in der 3. Auflage noch ca. 3200 Wörter als „veraltet“, 2000 als „veraltend“ und 2900 als „selten“ gekennzeichnet, sind es in der 4. Auflage nur noch 1900, 1500 und 2300 (alle Zahlen abgerundet). Nicht immer muss dies bedeuten, dass die betreffenden Stichwörter komplett gestrichen wurden; in manchen Fällen wurde nur eine veraltete Bedeutung entfernt, oder ein bereits als veraltet angesehenes Wort kam wieder in Gebrauch und verlor deshalb die Markierung „veraltet“. Dennoch drängt sich insgesamt der Verdacht auf, dass für die 1500 neu aufgenommenen Wörter mindestens ebenso viele „veraltete“ getilgt wurden.

Ein typischer Wörterbucheintrag sieht folgendermaßen aus: zunächst das Stichwort in halbfetter Groteskschrift (mit senkrechten Strichen zur Angabe der Trennmöglichkeiten sowie untergesetzten Punkten oder Strichen zur Angabe der Betonung), danach ggf. eine phonetische Transkription (insbesondere bei Fremdwörtern), anschließend grammatische und etymologische Informationen sowie ggf. eine Einordnung des Wortes nach Sprachebene, Fachgebiet und regionalem Ursprung, schließlich die Bedeutungsdefinition(en) in Kursivschrift, meist illustriert durch Anwendungsbeispiele und idiomatische Wendungen. Zur Veranschaulichung zitiere ich das Stichwort Beispiel:

Bei|spiel, das; -s, -e [spätmhd. bispil, volksetym. angelehnt an Spiel, zu mhd., ahd. bispel = belehrende Erzählung, Gleichnis, Sprichwort, aus: bi (bei) u. mhd., ahd. spel = Erzählung (urspr. = [bedeutungsvolle] Rede), also eigtl. = nebenbei Erzähltes]: a) beliebig herausgegriffener, typischer Einzelfall (als Erklärung für eine bestimmte Erscheinung od. einen bestimmten Vorgang); Exempel: ein treffendes, charakteristisches B.; etw. dient als B.; -e suchen, anführen; etw. anhand eines -s, mit einem B. erklären; *[wie] zum B. (beispielshalber, wie etwa); Abk.: z.B.; ohne B. sein (beispiellos sein); b) Vorbild, [einmaliges] Muster: ein warnendes, abschreckendes B.; *ein B. geben (als Vorbild zur Nachahmung herausfordern); sich <Dativ> [an jmdm., etw.] ein B. nehmen (jmdn., etw. als Vorbild wählen); mit gutem B. vorangehen (etw. als Erster tun, um andere durch sein Vorbild zu gleichem Handeln anzuspornen).
Im vorliegenden Zusammenhang ist natürlich vor allem der „christliche“ Wortschatz interessant. Dass das Wörterbuch „bibeltreue“ oder gar der spezifischen Auslegungstradition der „Brüder“ entsprechende Definitionen christlicher Termini liefert, ist selbstverständlich nicht zu erwarten; dennoch fallen die meisten Erklärungen auch aus biblischer Sicht durchaus zufriedenstellend aus. Gott wird definiert als 'höchstes übernatürliches Wesen, das als Schöpfer Ursache allen Geschehens in der Natur ist, das Schicksal der Menschen lenkt, Richter über ihr sittliches Verhalten u. ihr Heilsbringer ist'; Sünde ist (a) die 'Übertretung eines göttlichen Gebots' oder (b) der 'Zustand, in dem sich jmd. durch eine Sünde (a) od. durch die Erbsünde befindet' (die heute angeblich vorherrschende Bedeutung 'Handlung der Unvernunft, die nicht zu verantworten ist' wird erst an dritter Stelle genannt); Wiedergeburt bedeutet 'das Neuwerden des gläubigen Menschen durch die Gnade Gottes', Heil steht für 'Erlösung von Sünden u. ewige Seligkeit'. Bibelkritische Distanzierungen von traditionellen Wortinhalten finden sich kaum: Die Schöpfung ist die 'von Gott erschaffene Welt' oder die 'Erschaffung der Welt durch Gott', der Sündenfall 'das Sündigwerden des Menschen, sein Abfall von Gott durch die Sünde Adams u. Evas (1. Mos. 2, 8 – 3, 24)'; die Arche Noah war ein 'schiffähnlicher Kasten, in dem Noah mit seiner Familie u. zahlreichen Tierpaaren die Sintflut überlebte'; nur die Sintflut selbst wird ins Reich des Mythos verwiesen: '(in Mythos u. Sage) große, katastrophale [die ganze Erde überflutende] Überschwemmung als göttliche Bestrafung'. Bei der Definition von Teufel und Hölle gerät das Wörterbuch dann allerdings selbst in den Bereich von Mythos und Sage, denn es definiert den Teufel als 'Widersacher Gottes, dessen Reich die Hölle ist' und die Hölle als 'Reich des Teufels' (neben der richtigen Erklärung 'Ort der ewigen Verdammnis für die Sünder'). Hier werden landläufige abergläubische Vorstellungen reproduziert, die mit dem biblischen Befund (Offb 20,10!) wenig zu tun haben. Dasselbe gilt letztlich auch für ein Stichwort wie Fegefeuer, für das freilich gar keine biblische Erklärung möglich gewesen wäre ('(kath. Rel.): Ort der Läuterung, in dem die Verstorbenen ihre lässlichen Sünden abbüßen, bevor sie in das Reich Gottes eingehen').

Bei der Definition gottesdienstlicher Begriffe spiegelt das Wörterbuch erwartungsgemäß die Auffassungen der großen Kirchen wider. Taufe und Abendmahl sind 'Sakramente' – die Taufe ein 'Sakrament, durch das man in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen wird' bzw. ein 'Ritual, bei dem ein Geistlicher die Taufe (1 a) spendet, indem er den Kopf des Täuflings mit [geweihtem] Wasser besprengt od. begießt od. den Täufling in Wasser untertaucht' (die Erwähnung des Untertauchens ist immerhin bemerkenswert), das Abendmahl ein 'Sakrament, bei dem mit Bezug auf Jesu Abendmahl (2) für den Gläubigen Christus in Brot u. Wein gegenwärtig ist'. Sakrament selbst wird erklärt als 'von Jesus Christus eingesetzte zeichenhafte Handlung, die in traditionellen Formen vollzogen wird und nach christlichem Glauben dem Menschen in sinnlich wahrnehmbarer Weise die Gnade Gottes übermittelt'. Unter Buße versteht das Wörterbuch 'das Bemühen um die Wiederherstellung eines durch menschliches Vergehen gestörten Verhältnisses zwischen Gott und Mensch', was ein wenig nach Werkgerechtigkeit klingt, da ja jedes eigene „Bemühen“ des Menschen bekanntlich vergebens ist.

Trotz seines grundsätzlich „volkskirchennahen“ Standpunktes versucht das Wörterbuch auch „außerkirchlichen“ Begriffen gerecht zu werden. Sekte beispielsweise wird als 'kleinere Glaubensgemeinschaft' definiert, 'die sich von einer größeren Religionsgemeinschaft, einer Kirche abgespalten hat, weil sie andere Positionen als die ursprüngliche Gemeinschaft betont, hervorhebt'. Das Wort ist in der 4. Auflage als „veraltend“ markiert, was wohl darin begründet liegt, dass es wegen seines abwertenden Charakters von Konfessionskundlern heute eher vermieden wird. Denomination bedeutet '(... bes. in Amerika) christliche Religionsgemeinschaft (Kirche od. Sekte)', die Erweckungsbewegung war eine 'innerprotestantische Bewegung zur Wiedererweckung des religiösen Lebens (im 18./19. Jh.)', ein Evangelist ist (u.a.) ein 'evangelisierender [Wander]prediger (bes. einer evangelischen Freikirche)'. Unter den freikirchlichen Bewegungen haben Herrnhuter, Mennoniten, Baptisten, Methodisten und Adventisten ihren Weg ins Wörterbuch gefunden, die Darbysten dagegen noch nicht. Problematisch erscheint die Definition von evangelikal als 'die unbedingte Autorität des Neuen Testaments im Sinne des Fundamentalismus vertretend': Zum einen setzen sich die Evangelikalen normalerweise bewusst von den Fundamentalisten ab, zum anderen wird der christliche Fundamentalismus von diesem Wörterbuch auf Amerika beschränkt, sodass es in Deutschland weder Fundamentalisten noch Evangelikale geben dürfte. Bei der Definition von Biblizismus ('das Auslegen der Bibel im rein wörtlichen Sinn ohne Berücksichtigung historisch-kritischer Forschungsergebnisse') bleibt unerwähnt, dass es sich hier um eine meist abwertende Fremdbezeichnung handelt; das Adjektiv bibeltreu sucht man (trotz der „Partei Bibeltreuer Christen“) vergebens. Überhaupt lässt sich an den Bibel-Komposita in geradezu erschreckender Form die Streichungspolitik des Verlages erkennen: Gegenüber der 3. Auflage wurden hier nicht weniger als zehn Stichwörter getilgt (Bibeldruckpapier, Bibelforscher, Bibelgesellschaft, Bibelglaube, Bibelkritik, Bibellese, Bibelregal, Bibelstunde, Bibelvers und Bibelwort). Nach welchen Kriterien dabei vorgegangen wurde, bleibt unklar. Wenn es darum ging, diejenigen zusammengesetzten Wörter zu entfernen, deren Bedeutung leicht aus den Einzelbestandteilen erschlossen werden kann (die Aufblähung des Stichwortbestandes durch solche Wörter wurde dem Dudenverlag oft zum Vorwurf gemacht), hätten auch Bibelauslegung, Bibelspruch, Bibeltext und Bibelübersetzung gestrichen werden können, während andererseits Bibelforscher (= 'Zeuge Jehovas') und Bibelregal (ein Musikinstrument!) unbedingt hätten erhalten bleiben müssen.

Typisch „versammlungssprachliche“ Wörter und Bedeutungen sind im „Deutschen Universalwörterbuch“ natürlich nicht verzeichnet. So findet man weder Regierungswege noch Wortbetrachtung, weder Niedriggesinntheit noch Pilgerpfad, und auch über die Spezialbedeutungen von Absonderung, Benennung, Systeme, Übungen, Zeugnis oder Zukurzkommen ist nichts zu erfahren. Von den übrigen Lieblingswörtern der „Brüder“ wird ein guter Teil dem gehobenen Wortschatz zugerechnet, so etwa bedürfen, begehren, darreichen, gleichsam, verharren, wandeln, weilen, wohlgefällig; manche sind auch als veraltet (z.B. hienieden, verunehren) oder veraltend (z.B. allezeit, gottselig) gekennzeichnet. In allen diesen Fällen muss man sich fragen, ob die Verwendung solcher Wörter in normalen gegenwartssprachlichen Kontexten nicht einen Stilbruch darstellt. Besonders bemerkenswert erscheint die Definition des Wortes unterwürfig, das auch in der überarbeiteten Ausgabe des Elberfelder Neuen Testaments noch immer zur Bezeichnung der Haltung der Frau gegenüber ihrem Mann verwendet wird (1Kor 14,34; Eph 5,22; Kol 3,18; Tit 2,5; 1Petr 3,1). Dem „Universalwörterbuch“ zufolge bedeutet es 'in würdeloser Weise darum bemüht, sich die Meinung eines Höhergestellten o.Ä. zu Eigen zu machen, u. bereit, ihm bedingungslos zu Diensten zu sein' (so auch bereits in der 1. Auflage von 1983). Wenn bei der Überarbeitung des Elberfelder NTs wirklich Duden-Wörterbücher zu Rate gezogen wurden, wie zu vernehmen war, ist es völlig unerklärlich, dass dieses Wort stehen gelassen werden konnte. Dass es ohne Zugeständnisse an den Feminismus auch anders geht, zeigt die revidierte Elberfelder Bibel seit 25 Jahren: Sie hat „unterwürfig sein“ konsequent durch „sich unterordnen“ ersetzt.

Fazit: Trotz mancher Mängel im Detail und vieler bedauerlicher Streichungen bleibt das „Deutsche Universalwörterbuch“ auch in seiner 4. Auflage das führende einbändige Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Es kann gegenüber den Produkten der Konkurrenz (z.B. Wahrig/Bertelsmann) auf die jahrzehntelange lexikographische Erfahrung der Dudenredaktion mit ihrer mehrere Millionen Belege umfassenden Sprachkartei aufbauen und bietet daher in den meisten Fällen eine größere Informationsfülle (ausführlichere und differenziertere Definitionen, mehr Verwendungsbeispiele). Als Beigabe erhält man außerdem eine „Kurze Grammatik der deutschen Sprache“ (S. 29–71), die sich im Alltag als sehr nützlich erweisen kann.

Michael Schneider

[zuerst in: Mailingliste APOLLOS, 22. Mai 2001; leicht überarbeitet]


© 2001 by Michael Schneider • Letzte Änderung: Donnerstag, 7. April 2016